Stefan Radau
Gifted
Versprechen im Morgenrot
Kapitel 1
CLARAS DILEMMA
Clara Lewis starrte auf die zerknitterte Einladung in ihrer Hand, während das erste Licht des Tages durch die hohen Fenster der Altbauvilla sickerte. 'Benefiz-Dinner für die Gifted-Stiftung', stand dort in eleganten Lettern. Ihr Lebenswerk, ihre größte Errungenschaft – und doch fühlte es sich in diesem Moment wie eine erdrückende Last an. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem halbvollen Weinglas auf ihrem Schreibtisch, ein stummer Zeuge ihrer nächtlichen Zweifel. Wie war es nur so weit gekommen? Ein tiefer Seufzer entwich ihren Lippen, beladen mit der Schwere der vergangenen Wochen. Die Stiftung hatte sie in einen Strudel aus endlosen Meetings, komplizierten Anträgen und zermürbenden Diskussionen gezogen. Das ständige Gefühl der Unzulänglichkeit nagte an ihr, ein leiser, aber beharrlicher Begleiter.
»Wo ist der Zauber geblieben?«, flüsterte sie, mehr zu sich selbst als zu irgendjemandem sonst. Ihr Blick fiel auf den massiven Schreibtisch aus dunklem Holz, übersät mit Akten und Unterlagen – ein chaotisches Abbild ihres Geisteszustands. Die Leidenschaft, die sie einst angetrieben hatte, schien unter dem Berg von Verpflichtungen begraben zu sein.
Clara rieb sich die müden Augen und versuchte, die Erinnerungen an den gestrigen Abend zu verdrängen. Das Benefiz-Dinner für potenzielle Sponsoren, das sie im prunkvollen Salon im Erdgeschoss abgehalten hatten, war ein Desaster gewesen. Sie hatte sich verhaspelt, wichtige Zahlen verwechselt und am Ende sogar den Namen eines langjährigen Unterstützers vergessen. Die enttäuschten Blicke ihrer Mitarbeiter hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt.
Auf dem kleinen Beistelltisch neben dem antiken Ledersessel thronte eine halbvolle Flasche Rotwein neben einem leeren Glas – stumme Zeugen ihrer nächtlichen Grübeleien. Clara seufzte erneut. Die Vermischung von Privatleben und Arbeit in diesem Haus machte es ihr zunehmend schwer, abzuschalten und zur Ruhe zu kommen.
Das Knarren der alten Holztreppe riss Clara aus ihren Gedanken. Florian, von allen nur Flo genannt, betrat das Zimmer. Sein Gesicht war von einem sanften Lächeln erhellt, das ihre Sorgen für einen Moment verblassen ließ. Seine braunen Locken waren vom Morgenlauf durch den Grunewald zerzaust, und in seinen grünen Augen lag eine Mischung aus Besorgnis und Zuneigung.
»Du bist schon wieder so früh auf, Clara«, sagte er liebevoll, während er zu ihr ans Fenster trat. Mit wenigen Schritten war er bei ihr, zog sie in eine Umarmung und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Der vertraute Duft seiner Haut, vermischt mit dem frischen Aroma des Waldes, und die Wärme seiner Arme gaben Clara ein Gefühl von Geborgenheit, das sie in letzter Zeit schmerzlich vermisst hatte.
»Ich habe über uns nachgedacht«, murmelte sie gegen seine Schulter, den Kopf an seine Brust gelehnt. Sein Herzschlag, stetig und beruhigend, bildete den Kontrapunkt zu ihren wirren Gedanken. »Über uns und darüber, wie wir vielleicht mal wieder eine Pause bräuchten. Ich habe das Gefühl, dass wir uns selbst in all dem, was wir tun, verloren haben. Dieses Haus... es sollte unser Zuhause sein, aber manchmal fühlt es sich an, als wäre es nur eine Erweiterung des Büros.«
Flo löste sich sanft aus der Umarmung, um ihr in die Augen zu sehen. Seine Hände ruhten auf ihren Schultern, warm und fest. »Ich weiß, was du meinst«, sagte er mit einem verständnisvollen Nicken. »Die Grenzen verschwimmen hier manchmal. Aber genau deshalb habe ich eine Idee. Was hältst du davon, wenn wir wegfahren? Irgendwohin, wo niemand uns kennt, wo wir einfach nur wir sein können – ohne Verpflichtungen, ohne Telefonate, ohne ständig an die Arbeit erinnert zu werden.«
Claras Augen weiteten sich, ein Funke Begeisterung glomm in ihnen auf. »Du meinst...?«
»Genau«, grinste Flo. »Was hältst du von einem Sommer-Sonne-Strand-Urlaub? Nur du und ich! Weit weg von dieser Villa, von Berlin, von allem, was uns an die Stiftung erinnert.«
Ein Lachen, hell und befreiend, perlte von Claras Lippen. Es war ein Klang, den die alten Wände dieses Zimmers schon lange nicht mehr gehört hatten. »Das klingt wie ein Traum«, sagte sie, während ihre Finger sich in Flos T-Shirt krallten, als wolle sie sichergehen, dass er nicht plötzlich verschwand. »Aber die Stiftung... ich kann nicht einfach... Wer kümmert sich um alles?«
Flo legte einen Finger auf ihre Lippen, brachte sie sanft zum Schweigen. »Die Stiftung wird ein paar Tage ohne dich überleben. Du hast ein großartiges Team aufgebaut, Clara. Es wird Zeit, dass du ihnen auch vertraust. Lass Lena die Leitung übernehmen. Sie ist mehr als fähig, und es wäre eine gute Gelegenheit für sie, sich zu beweisen.«
Clara zögerte. Lena war ihre rechte Hand, brillant und engagiert. Aber konnte sie wirklich alles aus der Hand geben? Der Gedanke ließ ihr Herz schneller schlagen, eine Mischung aus Angst und... war es Erleichterung?
»Ich weiß nicht, Flo«, sagte sie leise, den Blick auf den Garten gerichtet, wo die Morgensonne nun die Tautropfen von den Blättern küsste. »Die Stiftung ist wie ein Kind für mich. Sie einfach zurückzulassen...«
Flo nahm ihr Gesicht sanft in seine Hände, zwang sie liebevoll, ihn anzusehen. »Clara, hör mir zu. Die Stiftung ist wichtig, das weiß ich. Aber du bist wichtiger. Wir sind wichtiger. Wenn wir uns selbst verlieren, wie sollen wir dann anderen helfen? Manchmal muss man einen Schritt zurücktreten, um wieder klar sehen zu können.«
Clara spürte, wie sich etwas in ihr löste – eine Anspannung, die sie so lange mit sich herumgetragen hatte, dass sie fast vergessen hatte, wie es sich ohne sie anfühlte. Sie nickte langsam, ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Du hast recht. Vielleicht... vielleicht ist es wirklich an der Zeit, loszulassen. Zumindest für eine Weile.«
»Also?«, fragte Flo, Hoffnung in seiner Stimme.
»Also gut«, sagte Clara, diesmal mit mehr Überzeugung. »Lass uns wegfahren. Aber du weißt, dass ich schlecht darin bin, nichts zu tun, oder? Ich werde wahrscheinlich versuchen, irgendwo ein Buch aufzuschlagen und mir Notizen zu machen.«
Flo grinste und zog sie näher an sich. »Und das ist genau der Grund, warum ich dich liebe. Aber lass uns wenigstens versuchen, ein wenig faul zu sein. Versprochen?«
»Versprochen«, sagte Clara und ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken. Sie schloss die Augen und sog seinen warmen Duft ein, vermischt mit dem Aroma von frisch gemähtem Gras, das durch das offene Fenster hereinwehte. Für einen Moment war die Welt außerhalb ihrer Umarmung vergessen, all die Sorgen und Verpflichtungen verblassten zu einem fernen Rauschen.
Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ihr Blick auf die aufgehende Sonne, die nun den Himmel in ein strahlendes Goldorange tauchte und die Fassade der Villa in warmes Licht tauchte. Es war, als ob die Welt selbst ihr zulächelte, ihr ein Versprechen gab – ein Versprechen von Neuanfängen, von Hoffnung und von der Möglichkeit, sich selbst wiederzufinden.
Clara lächelte. Vielleicht war es an der Zeit, dem Morgenrot zu vertrauen und sich von ihm in ein neues Kapitel ihres Lebens führen zu lassen. Hand in Hand mit Flo, bereit für das Abenteuer, das vor ihnen lag, fernab von den vertrauten Mauern dieser Villa, die so viel mehr war als nur ein Haus.
»Weißt du was?«, sagte Clara plötzlich, eine neue Entschlossenheit in ihrer Stimme. »Lass uns gleich heute Morgen mit der Planung beginnen. Ich werde Lena anrufen und ihr die Verantwortung übertragen. Es wird Zeit, dass ich lerne, auch mal loszulassen.«
Flo strahlte sie an, Stolz und Liebe in seinem Blick. »Das ist meine Clara. Immer bereit, ins kalte Wasser zu springen, wenn es darauf ankommt.«
»Nun, wenn schon ins kalte Wasser, dann lieber in die warmen Wellen irgendeines tropischen Paradieses«, lachte Clara.
Sie wandte sich von Fenster ab und ging entschlossen zu ihrem Schreibtisch. Mit einer energischen Bewegung fegte sie einen Stapel Papiere beiseite und zog ihren Laptop heran. »Komm, lass uns schauen, wohin die Reise gehen soll.«
Flo setzte sich neben sie, legte einen Arm um ihre Schultern. Gemeinsam begannen sie, durch Bilder von weißen Sandstränden, türkisfarbenem Wasser und exotischen Orten zu scrollen. Mit jedem Bild, das über den Bildschirm flimmerte, schien ein Stück der Last von Claras Schultern zu fallen.
Draußen erwachte Berlin zum Leben. Das Rauschen der ersten Autos mischte sich mit dem Zwitschern der Vögel im Garten. Aber hier, in diesem Moment, in diesem Raum, der so oft Zeuge von Claras Sorgen und Zweifeln gewesen war, keimte etwas Neues auf – Hoffnung, Vorfreude und die Gewissheit, dass manchmal ein Schritt zurück der beste Weg nach vorn sein kann.
Als die Sonne höher stieg und ihre warmen Strahlen den Raum durchfluteten, war die Entscheidung gefallen. Clara und Flo hatten nicht nur ein Reiseziel gewählt, sondern auch den ersten Schritt in Richtung einer neuen Balance in ihrem Leben getan. Die Altbauvilla, die so lange Zentrum ihres Universums gewesen war, würde für eine Weile warten müssen. Es war Zeit für neue Horizonte, neue Perspektiven und die Chance, sich selbst und einander neu zu entdecken.
Mit einem letzten Blick auf den nun sonnendurchfluteten Garten stand Clara auf. »Ich glaube, es wird Zeit für ein Frühstück. Und dann... dann rufe ich Lena an.«
Flo nickte zustimmend, ein wissendes Lächeln auf den Lippen. Er wusste, dass dieser Moment, diese Entscheidung, mehr war als nur die Planung eines Urlaubs. Es war der Beginn einer Reise, die weit über geografische Grenzen hinausging – eine Reise zu sich selbst, zu dem, was wirklich wichtig war.
Clara schloss die Augen und ließ die Erinnerungen an den Anfang ihrer Reise zu. Die Begeisterung, die sie damals gespürt hatte, der brennende Wunsch, etwas zu verändern. Wo war dieses Feuer geblieben? Hatte sie sich in den Wirren der Bürokratie und den endlosen Kämpfen um Fördergelder verloren? Ich wollte doch nur helfen, flüsterte sie in die Stille des Raumes. 'Aber jetzt fühle ich mich, als würde ich ertrinken.
Kapitel 2
LOSLASSEN UND VERTRAUEN
Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages drangen durch die hohen Fenster der Altbauvilla, als Clara mit zitternden Händen ihr Smartphone umklammerte. Sie stand im Wintergarten, umgeben von üppigen Grünpflanzen, die normalerweise eine beruhigende Wirkung auf sie hatten. Doch heute schien selbst die friedliche Atmosphäre des Raumes ihre innere Unruhe nicht besänftigen zu können.
Der gestrige Abend mit Flo hatte ihr neuen Mut gegeben, aber nun, da der Morgen angebrochen war und die Realität ihrer Entscheidung sie einholte, spürte sie, wie die Zweifel zurückkehrten. Sie atmete tief durch, der Duft der blühenden Orchideen erfüllte ihre Lungen.
»Du schaffst das«, murmelte sie zu sich selbst, während sie Lenas Nummer wählte. Das Freizeichen ertönte, und mit jedem Piepen schien Claras Herzschlag sich zu beschleunigen. Sie beobachtete, wie ein Schmetterling durch den Wintergarten flatterte, seine zarten Flügel im Sonnenlicht schimmernd – ein flüchtiger Moment der Schönheit inmitten ihrer Anspannung.
»Clara? Ist alles in Ordnung?« Lenas besorgte Stimme drang aus dem Lautsprecher. Es war ungewöhnlich, dass ihre Chefin sie so früh am Morgen anrief.
Clara holte tief Luft und versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ja, Lena, alles ist gut. Ich... ich muss mit dir über etwas Wichtiges sprechen. Hast du einen Moment?«
»Natürlich«, antwortete Lena, ihre Stimme nun eine Mischung aus Neugierde und Anspannung. Im Hintergrund konnte Clara das leise Klappern einer Kaffeetasse hören – Lena war offenbar schon bei ihrer morgendlichen Routine.
Clara begann zu sprechen, ihre Worte zunächst zögerlich, dann immer flüssiger. Sie erzählte von ihrer Erschöpfung, von dem Gefühl, den Überblick verloren zu haben, und schließlich von der Entscheidung, eine Auszeit zu nehmen. Ihre Finger spielten nervös mit einem Blatt der nahestehenden Monstera, während sie sprach. »Und deshalb, Lena, möchte ich dich bitten, für die nächsten Wochen die Leitung der Stiftung zu übernehmen.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte für einen Moment Stille. Clara hielt den Atem an, ihr Herz raste. Hatte sie zu viel verlangt? Die Sekunden dehnten sich wie eine Ewigkeit.
»Wow, Clara«, kam schließlich Lenas Antwort, ihre Stimme voller Emotionen. »Ich fühle mich geehrt, dass du mir so sehr vertraust. Aber bist du sicher? Die Stiftung ist dein Baby, und ich weiß, wie schwer es dir fällt, loszulassen.«
Clara lächelte schwach, erleichtert über Lenas verständnisvolle Reaktion. Sie ließ sich auf die kleine Bank im Wintergarten sinken, ihr Blick wanderte über den morgendlichen Garten, wo die Tautropfen im Sonnenlicht glitzerten. »Ja, ich bin sicher. Es wird nicht einfach sein, aber ich weiß, dass die Stiftung bei dir in guten Händen ist. Du bist brillant, engagiert und kennst unsere Ziele und Werte. Wenn nicht du, wer dann?«
Sie konnten hören, wie Lena tief Luft holte. »Okay«, sagte sie schließlich, ihre Stimme nun voller Entschlossenheit. »Ich werde mein Bestes geben, Clara. Du kannst dich auf mich verlassen. Aber versprich mir eins: Genieß deine Auszeit wirklich. Schalte ab, tank neue Energie. Die Stiftung wird hier sein, wenn du zurückkommst.«
Clara spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Lenas Worte berührten sie tiefer, als sie erwartet hatte. »Danke, Lena. Das bedeutet mir sehr viel.«
Sie beendeten das Gespräch mit der Vereinbarung, sich am nächsten Tag zu treffen, um die Details zu besprechen. Als Clara das Telefon sinken ließ, fühlte sie eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Wehmut. Ein Kapitel schloss sich, ein neues begann.
Flo, der das Gespräch aus der Ferne beobachtet hatte, trat nun zu ihr in den Wintergarten. »Und? Wie ist es gelaufen?«, fragte er sanft, während er sich neben sie setzte.
Clara lehnte sich an ihn, dankbar für seine beruhigende Präsenz. »Besser als ich dachte. Lena war... wunderbar. Verständnisvoll und bereit, die Verantwortung zu übernehmen.«
Flo strich ihr zärtlich über den Rücken. »Ich wusste, dass sie es verstehen würde. Du hast ein großartiges Team aufgebaut, Clara. Sie werden die Stellung halten, während wir weg sind.«
Clara nickte, doch ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Ich weiß. Es ist nur... es fühlt sich so endgültig an. Als würde ich einen Teil von mir zurücklassen.«
Flo nahm ihr Gesicht in seine Hände, zwang sie sanft, ihn anzusehen. »Du lässt nichts zurück, Clara. Du nimmst nur eine Pause, um zu dir selbst zurückzufinden. Die Stiftung ist ein Teil von dir, aber sie ist nicht alles, was du bist.«
Seine Worte trafen Clara wie ein sanfter Stromschlag. Wie lange hatte sie sich selbst nur noch über ihre Arbeit definiert? Wann hatte sie aufgehört, Clara zu sein, und war nur noch die Leiterin der Bergmann-Stiftung gewesen?
»Du hast recht«, sagte sie leise, mehr zu sich selbst als zu Flo. »Es wird Zeit, dass ich mich daran erinnere, wer ich bin – jenseits der Stiftung.«
Flo lächelte und zog sie in eine Umarmung. »Und genau dabei werde ich dir helfen. Bist du bereit für unser nächstes Abenteuer?«
Clara nickte, ein zaghaftes Lächeln auf ihren Lippen. »Ja, das bin ich. Aber zuerst... lass uns frühstücken. Ich glaube, ich habe seit Tagen nicht mehr richtig gegessen.«
Sie standen auf und verließen Hand in Hand den Wintergarten. In der geräumigen Küche der Villa bereiteten sie gemeinsam ein ausgiebiges Frühstück zu – frisch gepresster Orangensaft, knuspriges Vollkornbrot, Rührei mit Kräutern aus dem eigenen Garten. Es war eine alltägliche Tätigkeit, doch für Clara fühlte es sich an wie der erste Schritt in eine neue Richtung.
Während sie aßen, begannen sie, Pläne für ihre Reise zu schmieden. Flo hatte seinen Laptop auf den Küchentisch gestellt und scrollte durch verschiedene Reiseziele.
»Was hältst du von Santorini?«, fragte er, während er Clara ein Bild von weißen Häusern mit blauen Kuppeln zeigte, die sich an steile Klippen schmiegten, mit Blick auf das tiefblaue Ägäische Meer. »Malerische Dörfer, atemberaubende Sonnenuntergänge, antike Geschichte. Genau das, was wir brauchen.«
Claras Augen leuchteten auf. »Santorini... das klingt perfekt.« Sie lachte leise. »Weißt du noch, wie wir früher immer davon geträumt haben, einmal die griechischen Inseln zu bereisen? Bevor die Stiftung... bevor alles so kompliziert wurde?«
Flo nickte, ein nostalgisches Lächeln auf seinen Lippen. »Ja, ich erinnere mich. Es wird Zeit, dass wir uns einige dieser Träume zurückholen.«
Sie verbrachten die nächsten Stunden damit, ihre Reise zu planen – Flüge zu buchen, traditionelle griechische Unterkünfte zu recherchieren, Aktivitäten wie Weinproben in den berühmten Weingütern der Insel und Bootstouren zur Vulkaninsel Nea Kameni zu notieren. Mit jedem Detail, das sie festlegten, spürte Clara, wie die Vorfreude in ihr wuchs und die Sorgen um die Stiftung in den Hintergrund traten.
Am späten Nachmittag klingelte es an der Tür. Clara öffnete und fand Lena davor stehen, einen Stapel Unterlagen unter dem Arm.
»Ich dachte, wir könnten schon heute ein paar Dinge besprechen«, sagte Lena mit einem entschuldigenden Lächeln. »Wenn das okay für dich ist?«
Clara zögerte einen Moment. Ein Teil von ihr wollte Lena hereinbitten, sich sofort in die Arbeit stürzen. Doch dann erinnerte sie sich an ihr Versprechen gegenüber Flo und sich selbst.
»Weißt du was, Lena? Lass uns morgen darüber reden. Heute Abend... heute Abend möchte ich einfach nur Clara sein. Nicht die Stiftungsleiterin, nicht die Chefin. Nur Clara.«
Lena sah sie überrascht an, dann breitete sich ein warmes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Das freut mich zu hören, Clara. Wirklich. Genieß deinen Abend. Wir sehen uns morgen.«
Als Clara die Tür schloss und zu Flo zurückkehrte, der mit einem fragenden Blick im Wohnzimmer stand, fühlte sie eine Leichtigkeit, die sie seit langem nicht mehr gespürt hatte.
»Wer war das?«, fragte Flo.
»Lena. Sie wollte über die Stiftung sprechen. Aber ich habe sie auf morgen vertröstet.«
Flo hob überrascht die Augenbrauen. »Wirklich? Das ist... ungewöhnlich für dich.«
Clara lächelte und schlang ihre Arme um ihn. »Ich weiß. Aber ich dachte, es wird Zeit, dass ich lerne, auch mal 'Nein' zu sagen. Zumindest für heute Abend.«
Flo strahlte sie an und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich bin stolz auf dich, Clara. Das ist ein großer Schritt.«
Sie verbrachten den Rest des Abends damit, alte Fotoalben durchzublättern, sich an vergangene Reisen zu erinnern und von ihrem bevorstehenden Abenteuer auf Santorini zu träumen. Clara stellte sich die engen Gassen von Oia vor, die Spaziergänge am Strand von Kamari und die romantischen Abendessen mit Blick auf die Caldera.
Als sie später im Bett lagen, die sanften Geräusche der Nacht durch das offene Fenster drangen, fühlte Clara zum ersten Mal seit langem wieder Frieden in sich.
»Flo?«, flüsterte sie in die Dunkelheit.
»Hm?«, kam seine verschlafene Antwort.
»Danke. Danke, dass du mich daran erinnerst, wer ich bin. Dass ich mehr bin als meine Arbeit.«
Sie spürte, wie er sie enger an sich zog. »Immer, Clara. Dafür bin ich da.«
Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief Clara ein, ihr Herz voller Vorfreude auf die Reise, die vor ihnen lag – nicht nur die physische Reise nach Santorini, sondern auch die Reise zu sich selbst. Morgen würde ein neuer Tag anbrechen, mit neuen Herausforderungen und Möglichkeiten. Aber zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich bereit dafür, ihnen mit offenen Armen zu begegnen.